Dienstag, 29. April 2014

Alleine reisen ist niemals einsam

3. Oktober 2013
Flughafen Frankfurt
Ich stehe mit gepacktem Rucksack vor meiner Familie und muss mich für ein Jahr verabschieden. Mein einziger Gedanke: "Ach du scheiße, was hast du dir da wieder eingebrockt Anna."
Am liebsten wäre ich wieder ins Auto gestiegen und zurück ins alte Sauerland gefahren.
Dafür war es nun eindeutig zu spät.
Meine Überlegungen bekamen schizophrene Zustände. Die rechte Gehirnhälfte wollte Abenteuer, wollte neues sehen und kennen lernen. Die Linke hätte sich schon mit sechs Staffeln Lost und einer Tüte Chips zufrieden gegeben.

Die Reaktion auf meine baldige Ausreise war in etwa als würde ich alla 'Into the wild' in die tiefste Prärie reisen.
Von Vodka gegen Erfrierungen bis Tips zur Fleischkonservierung war so ziemlich alles dabei. Da das mit der Axt im Backpack kleine Probleme am Zoll bereiten würde, entschied ich mich diese in meinem Kleiderschrank zu lassen. Bis jetzt kann ich sagen: 'Ich bin auch gut ohne Beil und Schrotflinte ausgekommen.'.

Man glaubt es zwar kaum, aber Kanada besitzt auch Zivilisation.

Zurück zur Reise.
Tief durchatmen und los geht's. In den ersten Tagen lief so ziemlich alles schief was schief laufen konnte.
Ich kann nur sagen, es ist kein super Gefühl ohne Gepäck und mit einer nichtfunktionierende Kreditkarte in einem fremden Land anzukommen.
Da war ich nun, eine Deutsche in Montreal, die die zuvor gelesenen Beiträge über die französische Sprache durch ihre Naivität völlig ignoriert und unterschätzt hatte.
Wer hätte gedacht, dass das alles ernst genommen wird und die wirklich französisch sprechen. Nach einem nicht enden wollenden Flug stand ich da nun, an der Bushaltestelle, die mich zu meinem Hostel führen sollte und zugleich vor meiner ersten Hürde.
Wie findet man heraus wo man aussteigen soll, wenn die Bushaltestellen keine Namen, sondern nur Nummern besitzen?

Einzige Lösung: Fremde Leute ansprechen.

Mir wurde sofort bewusst, was es heißt alleine zu reisen. Diese Herausforderung an mich nehmen, bestehen und daran wachsen.
Ich muss sagen, wenn man keine Wahl hat, ist es gar nicht so schlimm. Es gibt immer nette Menschen, die einem gerne helfen. Und so zog es sich bis jetzt durch meinen gesamten Trip.

Immer wieder begegnete ich Personen, die durch Zufall meine Reise erweiterten.

Wie eine Art Puzzle.

So war ich zum Beispiel in Quebec und wusste nicht wie ich zurück nach Montreal fahren könnte.
Doch dann traf ich auf eine nette Frau aus Vancouver, die zufällig ein Zugticket für mich uebrig hatte, weil ihr Cousin unerwartet erkrankte. So fuhr ich also, im Indian Summer, mithilfe eines netten Zufalls, durch die wunderbar leuchtenden Wälder Quebecs.
Zu Beginn müssen sich die Randteile zu einem Rahmen vereinen, das ist zwar mühselig doch es macht die Aufgabe das Bild zu vervollständigen umso einiges leichter. Nach und nach sieht man wie man seinem Ziel Stück für Stück, Teil fuer Teil, näher kommt.
Ich liebe es wenn sich  am Ende diese Puzzle-teile zu einem Bild erschließen.

Auf einmal macht alles Sinn und es fühlt sich so an, als hätte jemand vorher alles geplant.
Ohne Plan zu reisen ist manchmal strukturierter als ein Pauschalurlaub, Langeweile inklusive.

Natürlich war es nicht nur das Land, was meinen Eltern sorgen bereitetet, sondern auch der Fakt, dass ich es alleine durchziehen wollte.
Wenn ich mit Bekannten (meistens Frauen) darüber sprach, hörte ich immer den gleichen Satz: "Alleine? Das würde ich mich niemals trauen."
Dieser Satz ist immer noch ein großes Rätsel für mich. Es ist so, als ob sich ein und das selbe Kopfkino in jeder Frau abspielt, die alleine reisen möchte. Ich wurde davon auch nicht verschont. Ja das schwache Geschlecht bin ICH und ICH soll mich bloß in Acht nehmen.
 Ja...vor wem oder was eigentlich? Vor dem unbekannten Mann?

Über Jahrhunderte wird den Frauen eingeredet, es wäre gefährlich alleine los zuziehen. Wir alle kennen Christoph Columbus oder James Cook. Nur redet keiner über große Entdeckerinnen, die es schon im 19. Jh. in das Unbekannte zog.
So wie die großen Entdeckerinnen Freya Stark, die viele Teile des nahen Osten Anfang der 90er Jahre alleine erkundete. Oder was ist mit Jane Goodall, der es durch jahrelange Primatenforschung im Jungle gelang, viele Rätsel über das Verhalten dieser Lebewesen zu lösen und damit deren Bestehen zu sichern.
Ich kann mich nicht erinnern, über nur eine Forscherin in der Schule gelernt zu haben.

Okay, Schluss mit der Feministenkeule.

Angst zu haben oder unsicher zu sein ist keineswegs eine Angewohnheit, die man ablegen sollte. Ich liebe es zum Beispiel immer wieder mich neu zu überwinden und an meine Grenzen zu gehen.
So wie mein kleines Schneesturmabenteuer.
Es war November und man spürte, dass der Winter vor der Tür steht. Meine Farmfamilie verschaffte mir einen Job in einer Bar, sodass ich am Wochenende ein kleines Taschengeld dazu verdienen konnte. Da diese etwa 30 min von meinem Zuhause entfernt lag, durfte ich das Auto benutzen. Bis 12 Uhr Nachts mixte ich also Drinks und sprach mit vielen Farmern aus der Umgebung. Dann stand  die Heimreise bevor, die ich mir etwas anders vorgestellt hätte. Es war der erste Wintereinbruch und natürlich habe ich diesen völlig unterschätzt. Nach 20 min Fahrt merkte ich, dass alles etwas unbekannt aussah. Verlassene Farmen, sehr dunkel und viel Wald. Es könnte auch die Kulisse für 'The blair which project' gewesen sein.
Doch ich hatte Glück und ein Farmer bemerkte, dass ich mich verfahren hatte.
Zeigte mir den Weg nach Hause.
Et Voila!
Happy End.

Als ich meine Reise begann, habe ich schnell bemerkt, dass sozialer Anschluss kein Problem ist, wenn man alleine reist.
Es ist sogar einfacher. Wir sind soziale Wesen und unser Instinkt zwingt uns Kontakt aufzunehmen.

Für viele ist das Wort 'Alleine' mit sozialem Ausschluss und Einsamkeit verbunden.

Alleine in einem Restaurant sitzen.
Alleine einen Film sehen.
Alleine reisen.

Wir bemerken dabei gar nicht, dass diese Angst ein Gerüst in unserem Kopf ist, dass wir selber erschaffen haben. Oft sind diese Gerüste veraltet und nur du kannst ein neues Design finden.
Das bedeutet, dass du die Macht hast deine eigene Einstellung zu kreieren, denn es gibt einen großen Unterschied zwischen etwas alleine machen und sich einsam fühlen. Das Eine ergibt sich nicht aus dem Anderen.

So verschiebt sich die Wahrnehmung ganz langsam durch das Reisen mit sich selbst.

Alleinreisende müssen keinen Preis für ihre Entscheidung zahlen, sie können höchstens einen gewinnen.

Anna Abenteuer





1 Kommentar:

  1. Ein sehr ausführlicher und interessanter Beitrag.Bin stolz auf dich.Mama

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